ORIGINAL BAUHAUS

DIE JUBILÄUMSAUSSTELLUNG

06.09.2019 – 27.01.2020

BERLINISCHE GALERIE
MUSEUM FÜR MODERNE KUNST

Das Bauhaus bestand in Deutschland nur 14 Jahre, seine Ideen werden jedoch seit 100 Jahren weitergetragen, seine Produkte neu aufgelegt, imitiert oder weiterentwickelt. Anlässlich des 100. Gründungsjubiläums des Bauhauses zeigt die Ausstellung des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung in der Berlinischen Galerie berühmte, bekannte und vergessene Bauhaus-Originale und erzählt die Geschichte hinter den Objekten. Zu sehen sind über 1.000 Exponate: Kunst und Design aus den Beständen des Bauhaus-Archivs, besondere Leihgaben aus internationalen Sammlungen und künstlerische Positionen, die das Bauhaus-Erbe neu betrachten.

Juliane Laitsch

Foto: Bernd Borchardt

Flüssige Raster.
Zu den Arbeiten von Juliane Laitzsch über einen Teppich von Gertrud Arndt

 Hans-Friedrich Bormann

Das Oeuvre von Gertrud Arndt lässt sich in zwei Kategorien unterteilen: auf der einen Seite stehen Teppiche und Stoffe, die geprägt sind von einer abstrakten Farbigkeit, auf der anderen Fotografien, die Gegenständen bzw. dem Portrait verpflichtet sind. Auch in ihren biographischen Äußerungen erscheinen die beiden Bereiche separiert: auf der einen Seite die Fotografie als private Liebhaberei, die zunächst gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, auf der anderen Seite die textile Gestaltung als ungeliebte, durch den Mangel an Alternativen erzwungene Tätigkeit, obwohl sie damit bereits während ihrer Ausbildung am Bauhaus erfolgreich war (1). Und auch die spätere öffentliche Anerkennung Arndts folgt einem solchen Muster, das auffallend den widerstreitenden Bewegungen innerhalb des Bauhauses entspricht: Nachdem der Nationalsozialismus zu einem Rückzug ins Private veranlasst hatte, werden ihre Fotografien seit Ende der 1970er Jahre im Zeichen der Kunst und deren Institutionen (wieder-) entdeckt, ihre Teppiche im Kontext des Möbelhandwerks bzw. der -industrie.

Ein prominentes Beispiel dafür ist Arndts Teppich 2, der 1924 am Bauhaus realisiert wurde und im Weimarer Direktorzimmer von Walter Gropius lag (2). Er ist seit dem Umzug nach Dessau verschollen. Der Entwurf zeigt ein quadratisches Raster aus Gelb-, Blau- und Grautönen. Arndt greift damit eine Strukturidee auf, die als Emblem der Moderne beschrieben und kritisiert wurde. Letzteres besonders scharf von Rosalind Krauss in einem Aufsatz von 1978, wo sie den Autonomiebestrebungen der modernen Kunst ihre vermeintliche Isolation, Geschichtsvergessenheit und Entwicklungslosigkeit vorhält (3). Zurecht wurde gegen dieses Argument vorgebracht, dass eine solche Kritik die Ambivalenzen innerhalb der Moderne und damit auch die eigene, (post-) moderne Verfassung verkennt (4). Tatsächlich lässt sich auch im Teppich 2 eine Dynamisierung, Entgrenzung und Kontextualisierung des Rasters ausmachen: Auf der Bildebene entfaltet sich ein Wechselspiel zwischen der kontingent anmutenden, flächigen Anordnung und den intensiveren Gelbtönen, welche das Format des Teppichs aufnehmen und sich zugleich als unterbrochener, instabiler Rahmen absetzen, wodurch der paradoxe Effekt einer „abstrakten Raumtiefe“ entsteht – möglicherweise ein Bezug zu Paul Klee, dessen Unterricht Arndt zu dieser Zeit besucht hat (5). Auf der Objektebene bedeutet der Teppich als Bildträger einen Bruch mit dem Dispositiv des Tafelbildes und dessen Implikationen. Im und als Teppich wird das Raster zu einer offenen Form, die sich in eine spezifische, komplexe Situation fügt. Die historische Fotografie von Lucia Moholy, die Arndts Teppich in Gropius‘ Büro zeigt, dokumentiert die intensiven Korrespondenzen zwischen den architektonischen Elementen und der Möblierung (vgl. Abb. 1). Der Verlust an Autonomie bedeutet zugleich einen Wiedergewinn von individueller Geschichte (was materielle Veränderungen, Beschädigungen und den Verlust ausdrücklich einschließt) sowie eine spezifische Historizität, die nicht vom singulären Artefakt, sondern von seinen wechselnden Kontexten und Funktionen sowie seinen medialen Transformationen ausgeht.

Auch die Arbeiten von Juliane Laitzsch werden von diesen kontinuierlichen, weder zeitlich noch räumlich eingrenzbaren Transformationen bestimmt. Ihr Bezugspunkt ist Arndts Teppich 2, doch geht es ihr weder um eine virtuelle Rekonstruktion noch um eine melancholische Beschwörung. Vielmehr widmet sie sich den heterogenen Artefakten (Fotografien, Entwürfen, Stoffproben, Werbeannoncen, Schriftstücken), die im Laufe der Jahre – vor allem im Zuge der verschiedenen Initiativen zur Rekonstruktion des verloren gegangenen Teppichs – entstanden sind. Diese Archivalien erschließt sich Laitzsch über eine gewissenhafte historiographische Quellenarbeit, die sie mit einer Geste zeichnerischer Aneignung verknüpft. So nimmt sie – tastend und spielerisch – an dem Prozess der Überlieferung teil, während Fragen nach der Qualität der Reproduktionen, die als Referenz für ihre Zeichnungen dienen, in den Hintergrund treten. Ein wichtiges Mittel dafür sind die Segmentierung und die (z.T. extreme) Skalierung von Bildern und Bild-Ausschnitten, mit deren Hilfe auch prominente Archivalien eine eigenständige, abstrakte Qualität gewinnen. Abermals spielt das Raster dabei eine zentrale Rolle, hier jedoch nicht nur als Gegenstand oder Formprinzip eines Bildes oder Objekts, sondern als Ausweis seiner technischen Reproduzierbarkeit: als Oberflächenstruktur eines Fotopapiers, als Prinzip der drucktechnischen Vervielfältigung, als kleinste Einheit digitaler Bilder. Entscheidend ist dabei, dass Laitzsch das übliche Verhältnis zwischen körperlichem Vollzug und technischer Aufzeichnung umkehrt: Der diskrete, homogene Bild-Punkt kommt bei ihr als Textur vor, als Kombination von Strichen, die nicht nur den Prozess der eigenen Hervorbringung dokumentieren, sondern auch eigenständige und individuelle, unvorhersehbare Qualitäten entwickeln. Zu bedenken ist auch, dass Laitzsch ihre Zeichnungen nicht als Einzelobjekte, sondern als (prinzipiell unabschließbare) Serien konzipiert, wodurch sie sowohl das historiographische Prinzip als auch die Geste der Aneignung auf ihre eigene Arbeit zurückwendet. Letztlich wird die Abwesenheit des Originals hier zu einer Kraftquelle für eine ausgreifende und anhaltende „Verflüssigung von Oppositionen“ (6), die sämtliche Kategorien der Kunst und ihrer Rezeption (Ereignis und Wiederholung, Abstraktion und Gegenständlichkeit, Bild und Objekt, Kunst und Design) betrifft.

(1) Vgl. die Darstellung bei Leßmann 1994.
(2) Die Bezeichnung „Teppich 2“ geht zurück auf einen Karton mit Wollproben für zwei Teppiche, die von Arndt zusammengestellt und beschriftet wurden (Bauhaus-Archiv Berlin, Inv. Nr.: 10403/2).
(3) Krauss 2000
(4) Vgl. exemplarisch Krieger 2008
(5) Vgl. zum Begriff der „abstrakten Raumtiefe“ Clemenz 2016, S. 218f.
(6) Vgl. Mersch 2013, S. 8.

Literaturverzeichnis

Manfred Clemenz: Der Mythos Paul Klee. Eine biographische und kulturgeschichtliche Untersuchung. Köln 2016.
Rosalind Krauss: „Raster“ [1978], in: dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Dresden 2000, S. 51-66.
Verena Krieger: „Der Blick der Postmoderne durch die Moderne auf sich selbst. Zur Originalitätskritik von Rosalind Krauss“, in: dies. (Hrsg.): Kunstgeschichte & Gegenwartskunst. Vom Nutzen und Nachteil der Zeitgenossenschaft. Köln 2008, S. 143-161.
Sabina Leßmann: „Zwischen Sachlichkeit und spielerischer Verwandlung“, in: Gertrud Arndt. Photographien der Bauhaus-Künstlerin. Ausst. Kat. Das Verborgene Museum, Berlin 1994, S. 8-13.
Dieter Mersch: „Kunst ist Kunst als Kunst – alles andere ist alles andere. Einige Überlegungen zur Ästhetik der Avantgarden“, in: Kodikas/Code. Ars Semiotica, 36 (2013), 1-2, S. 7-21.

 

Die Jubiläumsausstellung des Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin, in Kooperation mit der Berlinischen Galerie wird gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und die Kulturstiftung des Bundes.

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt von

 

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