Diskurs der Dinge

Bärbel Schlüter
Juliane Laitzsch
19.10. – 13.11.2021
Galerie Signum, Heidelberg

Galerie Signum
Dossenheimer Weg 9
69121 Heidelberg

Text zur Ausstellung: Fabian Goppelsröder

Dinge betrachten…

„Vor einer kleinen Rubensskizze, eine Himmelfahrt darstellend, einer meergrünen, perlmuttfarbenen, stellenweise feucht schimmernden Leinwand, hörte ich jemanden murmeln: ,Wie eine schöne Auster’“ – so beginnt Georges Salles, Archäologe und Kurator am Louvre in Paris, seinen 1939 veröffentlichten Essay ‚Le Regard‘. Die unscheinbare Szene veranlasst Salles zu einer Reflexion über den Blick des Ausstellungsbesuchers. Wie bildet sich der Gegenstand im Auge des Betrachters?

Wo das Urteil des Experten die eigentliche Wahrnehmung möglichst schnell hinter sich zu lassen sucht, auf Abstraktion und endgültige Bestimmung setzt, wird Salles’ kleiner Text zum beinah Proust’schen Plädoyer für die nie vollständig beherrschbare Dynamik des Wirklichen. Statt im Sichtbaren nur Wissbares zu sehen, ist der Blick hier abtastendes Erkunden der Potentialität von Dingen. Er ist Teil einer Bewegung stofflicher Assoziationen, spielt zwischen den Objekten.

Salles geht es nicht um eine Mystifikation des Sinnlichen. Die kaum gefilterten, oft auch ganz ungelenken Reaktionen auf die noch unbeherrschten Eindrücke sind nicht dazu geeignet, die kategoriale Ordnung der Wissenschaften zu ersetzen. Doch sind sie Teil einer sich solchen Schemata nie vollständig fügenden Wirklichkeit. Die Wahrnehmung von einzelnen Objekten ist niemals einfach objektiv.

Gegen die Vorstellung einer ontologischen Struktur, in der die Dinge beziehungslos nebeneinander stehen, lässt sich der Text so als Versuch verstehen, die Gegenstände einer Sammlung als temporär aufscheinende, sich ständig wandelnde Gestalten zu beschreiben. Allein aus sich heraus sind sie nicht zu verstehen. Ihr Eindruck ergibt sich als das Vortreten von Qualitäten, wie es allein in Relation zu anderen Gegenständen, zur Erwartung der Betrachter, zur Praxis des Sammelns möglich wird. „Wie eine schöne Auster.“

Die Arbeiten von Juliane Laitzsch und Bärbel Schlüter lassen sich als ein Ins-Werk-Setzen dieses nie festgestellten Blicks verstehen. Sie sind künstlerische Interventionen in die „fließende Unbestimmtheit“ der Welt. Ihr Interesse gilt den Dingen, wie sie werden, was sie sind, den Praktiken und Traditionen, den Techniken und den Gewohnheiten, die sie uns als vermeintlich unveränderliche Gegenstände vertraut gemacht haben und machen. Was heißt es, Alltagsobjekte in einem Museum auszustellen? Wie verschiebt sich unser Blick auf das Erforschte, Archivierte, wenn wir den Rhythmus des institutionalisierten Ordnens stören, unterbrechen, irritieren? Gegen die Tendenz zur schnellen, generellen Interpretation wird Laitzsch das Nachzeichnen kleinster Objektdetails zur bewusst langsam suchenden Annäherung an Textilfragmente aus der Spätantike. Die dem gehetzten Blick entgehende Komplexität dieses gewebten Mikrokosmos wird Stück für Stück erkundet. Statt im Depot verstaute Quasten aus dem 16. und 17. Jahrhundert schlicht öffentlich zu machen, erschließt sie Schlüter über ihre Inventarkarten als unsichtbare Teile einer Sammlung, die weit mehr umfasst, als die frei zugänglichen Bestände. Ihre Transformation in vergrößerte 3-D-Drucke gibt den ursprünglich weichen Knoten eine skulpturale Härte, die ihnen als Objekt im Raum eigenartig neu Präsenz verschafft. So lassen Laitzsch und Schlüter Selbstverständliches durch Verschiebungen des Tempos wie der Praxis unseres Schauens in neuen Aspekten sichtbar werden. Sie bergen optisch Unbewusstes, verwischen die gewohnte klare Trennung zwischen Betrachter und Betrachtetem und lassen sie zuletzt ganz kollabieren. Tatsächlich sind die Gegenstände ihrer Untersuchungen keine passiven Objekte, dem Spiel der Künstlerinnen wehrlos ausgesetzt. Sie melden sich auch selbst gleichsam zu Wort, fordern statt einer großen These den kleinen Dialog. Der Blick hat sich nicht nur für das Changieren der Aspekte bewusst zu öffnen; er muss bereit sein für den Widerspruch der Dinge, den ‚Gegenwurf’, wie man das spätlateinische ‚obiectum‘ zunächst ganz wörtlich übersetzte (ob-iacere). Erst mit der Zeit wurde der ‚Wurf‘ zum ‚Stand’ bevor die neuere Philosophie überhaupt allen dynamischen Bezug zum Subjekt und zum Bewusstsein aberkennen wollte. Selbst der für freie Etymologien durchaus empfängliche Martin Heidegger sah im Ding als Objekt zunächst nur den Begriff für die Vorhandenheit der materialen Welt. Als reine Ausgedehntheit ist es allein mathematisch zu beschreiben, bleibt es passive Größe, während dem ‚Zeug’ als Teil des Existenzialzusammenhangs durchaus aktivischer Charakter zukommt. Entlang der Frage nach der Wahrheit in der Kunst gewinnt das Ding bei Heidegger dann größere Bedeutung bevor er es in seinem späten Denken schließlich als Knoten und Verdichtung unserer Weltbezüge neu versteht. Es ist nun mehr als schiere res extensa; es ist Teil der Conditio Humana, Mitspieler der Existenz.

Dieses Spiel aufnehmend werden für Juliane Laitzsch und Bärbel Schlüter scheinbar altbekannte Gegenstände und Objekte zur Möglichkeit, uns mit uns selbst zu konfrontieren, Gewohnheiten zu hinterfragen, neue Impulse einzusammeln. Statt sie zu zähmen, einzukasteln und zu kontrollieren gilt es, ihren ‚Gegenwurf‘ zu fangen, ihn aufzunehmen, fortzuspinnen. Mit Salles über Salles hinaus werden die Dinge selbst Agenten unseres Blicks.

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