Installation & Zeichnung
Gertrud Riethmüller & Juliane Laitzsch
17.3. – 24.4. 2016
Eröffnung 16.3., 19 Uhr
Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken
Saarländisches Künstlerhaus
Saarbrücken e.V.
Karlstraße 1
D-66111 Saarbrücken
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Ausstellungsansichten:
Fotos:Gertrud Riethmüller
Juliane Laitzsch
Gespenster und Landschaft
Gertrud Riethmüller
über-zeichnet
Text zur Ausstellung von Ulrich Behr:
Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmüller begegnen sich 2015 als Stipendiatinnen auf dem brandenburgischen Schloss Wiepersdorf. Zeichnung ist das prägende künstlerische Medium von Juliane Laitzsch. Gertrud Riethmüllers Arbeiten bedienen sich eines vielgestaltigen Kosmos an künstlerischen Medien. Der Bogen spannt sich vom performistischen, im Ausstellungsraum oder auf Video gebannt, über Zeichnungen und skulpturale Elemente, bis hin zur Installation oder dem Environment. Trotz der Unterschiede im künstlerischen Ausdruck entdecken Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmüller Gemeinsamkeiten in ihrem Arbeitsansatz. Beide geben sich selbst eine klare Handlungsanweisung und starten damit in den künstlerischen Prozess. So erschaffen sie einen Rahmen für ihr künstlerisches Handeln, der ein schöpferisches Kontinuum erzeugt, welches von einer Hingabe an den Arbeitsprozess geprägt ist. Sich selbst einer Handlungsanweisung zu unterwerfen und eisern Kurs zu halten, hin auf ein zuvorderst eher vorgestelltes Ziel,… dies ist das Setting zu einem Selbstversuch. Was ist die Motivation zu solch einem Selbstversuch? – Es ist vielleicht der Wunsch sich zu entwickeln, gewiss ist es der Wunsch sich fortzubewegen. Das „Ich“ bewegt sich in seinem Umfeld fort. Die Umwelt ist quasi sein Medium. Bildlich gesprochen: „Es ist der Fisch im Wasser“, um den es hier geht. Um bei dieser Allegorie zu bleiben, es gibt zwei Möglichkeiten sich fortzubewegen: Das „Ich“ lässt sich treiben. – Oder ich fasse ein Ziel ins Auge und halte Kurs. – Eine Unterströmung kann mich nun erfassen und abdriften lassen. Ich komme nicht am angesteuerten Zielort an. – Neuland wird betreten. – „Driften“, dies ist der gemeinsame Titel mit dem die beiden Künstlerinnen eine Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus ins Auge fassen. Juliane Laitzsch nimmt den Blick auf und ins Wasser eines Sees zum Ausgangspunkt für ihren Zyklus von Zeichnungen. Vier Monate lang begleitet der mehrmalige tägliche Spaziergang am Ufer eines Sees ihren Alltag. Juliane Laitzsch verbringt also viel Zeit mit dem Schauen auf das Wasser in seinen vielfältigen Facetten von Überlagerung: Sich spiegelnde Wolken, treibende Blätter, ein diffuser Untergrund, Fische im Wasser,…. Doch die Arbeit zu diesem Thema beginnt erst viel später. Auf Schloss Wiepersdorf zeichnet sie aus der Erinnerung heraus diese Naturbeobachtung. Er-innerung, das heißt in diesem Fall im wahrsten Sinne des Wortes, sie schöpft den Blick auf das Wasser aus ihrem Inneren. Dies tut sie so genau wie möglich: „Kritzelnd-träumend wiederhole ich immerzu die Erinnerung an diese Beobachtung“, wie sie selbst es formuliert. Nach geraumer Zeit nicht mehr genau wissend, ob es die Erinnerung an das Wasser oder an eine eigene vorherige Zeichnung ist. – Gibt der Blauton eines bestimmten Stiftes genau einen der Blautöne des Wassers wieder oder ist er der Zeichnerin nur so vertraut, weil dieses Blau in einer vorhergehenden Zeichnung schon verwendet wurde? – Es ist dies die Fragestellung der Wahrnehmungs- und Erinnerungsforschung, die mit dem Begriff der „falschen Erinnerung“ („false memory“) beschrieben wird. Einem Phänomen das einem Verkehrsrichter nur allzu vertraut ist,… zwei Unfallzeugen sind sich sicher: „Die Ampel war Rot“ sagt der eine, „die Ampel war Grün“ sagt der andere Zeuge. Juliane Laitzsch beschreibt das „driften“ in ihrem Arbeitsprozess in den Worten: „Es gelingt mir immer weniger zwischen Zeichnung und Erinnerung zu unterscheiden,… im Prozess wird man seitlich versetzt,… es läuft aus dem Ruder,… man muss nachsteuern.“ Die Zeichnungen von Juliane Laitzsch vermitteln ganz unmittelbar diesen Drift. Sie erschließen sich in wechselnden Akzenten dem Betrachter und verändern sich bei längerer Betrachtung auf vielfältige Weise. Gertrud Riethmüllers selbst auferlegte Handlungsanweisung ist äußerst puristisch: Mit zwei kurzen Klebestreifen durchkreuzt sie einen Makel auf dem Boden. Ein Astloch, eine vergessene Tackernadel, ein Kratzer im Parkett werden überklebt. Der störende Fleck wird damit zugleich markiert. Auch störende Freiflächen zwischen den Markierungen werden nun überklebt…. Ein sich selbst zu generierender Prozess scheint sich wie ein Perpetuum Mobile im Raum zu entfalten. Die Bodenbeschaffenheit des Raumes gibt den Kurs vor. Mit diesem performativen Eingriff erschließt sich Gertrud Riethmüller den scheinbar leeren Ausstellungsraum. Auch Gertrud Riethmüller gebraucht nautische Begriffe zur Beschreibung ihrer Arbeit. Als „Ankerpunkte“ bei der in-Besitznahme des Raumes charakterisiert sie die Klebekreuze. In der von Gertrud Riethmüller beschriebenen Selbstwahrnehmung des Arbeitsprozesses scheint sich das sinnhafte Handlungsmuster in den Sog einer zwanghaften Handlung zu verkehren. – Ist sie vom Kurs abgekommen, vom selbst gesetzten Ziel abgedriftet? – Nein, der Ort erschließt sich auf träumerische Weise dem im Raum verweilenden und umher schreitenden Besucher. Gertrud Riethmüllers unbeirrbares Vertrauen in den Arbeitsprozess springt in sinnfälliger Weise auf den Betrachter über, geleitet und trägt ihn durch den Raum. Juliane Laitzsch‘ und Gertrud Riethmüllers Arbeiten sind geprägt von dem ständigen Wechsel zwischen Innenschau und dem aufmerksamen Blick nach Außen. Das gewissenhafte ausloten der Untiefen der eigenen Wahrnehmung, sowohl im Außenerleben als auch der eigenen Innenwelt überträgt sich auf beruhigende Weise auf den Besucher der Ausstellung. Es ist dies eine Paradoxie in den Arbeiten von Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmüller: Die Strenge der sich selbst auferlegten Handlungsanweisung in der künstlerischen Arbeit mündet in einer fließenden, fast ozeanischen Atmosphäre. Der Fisch ist ein Fisch… und er lebt im Wasser.